- Plattform: PC
- Release: 26.10.07 (EU), 30.10.07 (US), 11.04.08 (J)
Mit The Witcher, basierend auf einer Romanreihe, hat sich das polnische Studio CD Project Red ziemlich schnell in die Herzen der Spieler von West-RPGs programmiert. Zum Teil dank der kompromisslosen Welt, in der Entscheidungen tatsächlich wichtig erscheinen, aber auch Dank des Kundenfreundlichen Herangehens: Kein DRM und die Enhanced Edition Upgrades alle kostenlos für Erstkäufer nachgereicht beispielsweise.
Witcher sind im Prinzip Fantasy X-Men, nur gemacht statt geboren. Als Kinder werden sie rekrutiert, und über Mutation bekommen sie diverse Perks, wie die Möglichkeit Magie einzusetzen, bestärkende Potions zu trinken ohne an Vergiftung zu sterben, oder so viel durch die Gegend huren zu können, wie sie wollen, ohne STDs oder Schwangerschaften zu fürchten. Im Prinzip sind Witcher also gezüchtete Supermenschen, die gegen die übernatürlichen Gefahren kämpfen, gegen die Normalo-Menschen keine Chance haben, die aber auch entsprechend gesellschaftlich häufig gemieden sind.
Geralt ist ein solcher Witcher, einer unter Amnesie, der von Gleichen im Wald gefunden wurde und nun in deren Witcher-Quartier untergekommen ist, als jenes von einem Magier angegriffen wird, der einige Witcher-Geheimnisse entwendet. Also spaltet sich die Truppe auf um die Lande nach dem Übeltäter zu durchsuchen. Dabei gerät Geralt verkomplizierend aber auch noch in den Krieg zwischen den zwei Fraktionen der Templer und rebellischen Elfen, sowie eine Verschwörung um die Thronfolge.
Das klingt nun erneut generisch, sicherlich nicht mit dem größten Klischee überhaupt geholfen, nämlich den Hauptcharakter mit Amnesie zu schlagen. Im Falle von Geralt ist das allerdings ein eigentlich sehr gewitzter Einfall. Denn wie erwähnt basiert The Witcher auf einer Romanreihe, und zwar nicht nur insoweit, als das es in der gleichen Welt spielt, sondern Geralt ist tatsächlich auch dort der Hauptcharakter. Ihn das Gedächtnis verlieren zu lassen ist ein guter Ausweg, ihn als Hauptfigur beizubehalten, und dem Spieler dennoch Freiheiten in den verschiedenen Entscheidungen zu ermöglichen, da der Geralt hier eben nicht komplett gleich laufen muss mit dem Geralt in den Büchern, da er nicht die gleiche Lebenserfahrungen und Gemütsprägungen mit sich bringt.
Und Entscheidungen sind definitiv, was die Welt von The Witcher besonders macht. Oh, sicherlich gibt es kaum ein WRPG, welches sich auf den Markt trauen würde, ohne dem Spieler zu ermöglichen in den Konversationen verschiedene Optionen wählen zu können, doch häufig ändert das nur etwas die Attitüde, die NPCs einem gegenüber haben, und eventuell welche Nebenquests zu Verfügung stehen, aber wenig bis gar nichts Wesentliches. The Witcher macht da einen besseren Job vielen Dingen wirklich zumindest den Anschein von Gewichtigkeit zu geben. Und vor allem eine graue Welt zu bieten, die eben nicht einfach in Schwarz und Weiß unterteilt werden kann, und somit nicht immer eindeutig zu machen, welche Wahl einen als Arschloch und welche als Messias brandmarkt. Stattdessen ist The Witcher ein Spiel mit häufig unkomfortablen Entscheidungen, in denen immer irgendwer oder irgendetwas benachteiligt werden wird, und man für sich selbst das kleinere Übel oder die wichtigere Allianz zu wählen hat.
Eines der größten Probleme an der Handlung von The Witcher ist allerdings das Pacing. Das Spiel wird in fünf Kapitel unterteilt, die jeweils auf gewisse Lokalitäten beschränkt sind, und neben dem übergeordneten Faden vor allem auch ihre eigene Nebenhandlung mit sich bringen. Zusammen mit den vielen Sidequests kann das aber auch schnell dazu führen, dass genau jene Haupthandlung vergessen wird. Gerade Kapitel 2 und 3 sind sehr lang, aber nicht sonderlich interessant in ihren Hauptgeschehnissen. Ab Kapitel 4 gewinnt es dann dankenswerterweise an Schwung, und auch die Nebenhandlung des Mordmysterium und Cthulhu-Sekte ist wohl die beste des Spieles, doch die erste Spielhälfte hat definitiv ihre Längen.
Wie gesagt kommt das teilweise auch durch die vielzähligen Sidequests, die selten wirklich absolut langweilig sind, aber eben zahlreich und zumindest teilweise notwendig, da sie höhere Erfahrung ausspucken als reines Monsterkloppen dies tut, es für die Charakterentwicklung also nicht unwichtig ist, einen gewissen Teil davon zumindest zu erledigen. Viele Sidequests sind grundsätzlich ja nicht schlecht, aber es hilft dem Schwung der Haupthandlung sicherlich nicht, wenn in jedem neuen Kapitel erst mal alles für 5 Stunden Nebenaufgaben zum Erliegen kommt. Zumal der Quest-Tracker nicht der beste ist, da sowohl die Vorgaben für die Questerfüllung manchmal schwammig bleiben, sowie der nötige NPC durch seinen spezifischen Tagesablauf vielleicht momentan gar nicht dort zu finden ist, wo das Spiel seinen Hauptstandort katalogisiert. Die großen Gebiete und der fortschreitende Tagesablauf machen die Welt von The Witcher belebter, aber das Backtracking teilweise auch unnötig langwierig.
Wovon man sich auch nicht abschrecken lassen sollte, ist, dass The Witcher zu Beginn komplexer wirkt, als es wirklich ist. So hat Geralt nicht nur zwei verschiedene Schwerter – Silber für Monster, Stahl für Menschen – sondern auch noch drei verschiedene Stances, je nachdem ob er gegen gepanzerte, schnelle, oder Gruppen an Gegnern antreten muss. Potions müssen selbst gemixt werden, bringen Negativeffekte mit sich, und das Rezept muss vorher gelesen sein. Pflanzen können nur geerntet, und Monsterteile nur geschlachtet werden, wenn über sie vorher in den richtigen Büchern geschmökert wurde. Magie ist nicht durch Level ups zu lernen, sondern in dem die richtigen Stellen in der Welt aufgefunden werden. Vieles davon klingt im ersten Tutorial-Supergau des Spieles komplexer, als es wirklich ist, auch wenn für moderne Verhältnisse es eventuell doch etwas umständlich erscheint, dass Rezepte und Intel für die Umwelt vom richtigen Shop gekauft und angelesen gehört. Das Kampfsystem mit den zwei Schwertern und 3 Stances geht beispielsweise ziemlich schnell von der Hand, und für den Wechsel kann die Action auch immer pausiert werden. Ansonsten ist es zudem ein Rhythmusspielchen: Gegner anklicken, Geralt macht seine Kombo, und wenn der Mauszeiger aufleuchtet, erneut klicken, damit es weiter geht, ohne dass der Gegner reingeschlagen bekommt. Dazu gibt es dann noch Sprünge und Dodge-Rolls, und somit ist das zumindest etwas involvierter, als einfach den Gegner anzuklicken, und dann nur zuzuschauen, bis eine Magie nötig wird.
Was mir an The Witcher optisch besonders gefiel, waren die Details in der Welt. Stadtteile sind groß und tagsüber befinden sich auch dutzende an Menschen auf den Straßen. Auf den Feldern weht das Gras im Wind, fallen Blätter von den Bäumen, schrecken Tauben beim Näherkommen auf, gibt es Tiere im Unterholz. Die Welt von The Witcher mag nicht ganz auf den aktuellsten technischen stand sein, und besonders die steifen Charaktermodelle wirken in den Cutscenes teilweise merkwürdig, aber die Umgebung um Geralt herum wirkt doch wie eine lebendige Welt. Auch das handgezeichnete Artwork ist ziemlich hübsch, und zwar nicht nur die Pinups von Geralts Bettgefährtinnen, sondern auch die Ladebildschirme und wenigen Story-Diashows. Die englische Sprachausgabe ist dank der Enhanced Edition nun ebenfalls brauchbar ausgefallen, besonders Geralt macht seine Arbeit gut.
Fazit:
The Witcher ist ein gutes Spiel, aber mit Problemen. Die erste Hälfte ist zu träge, und das Quest-System hätte mehr Transparenz vertragen können, doch die Welt gefällt und wenn die Handlung anzuziehen beginnt, wird es doch noch spannend.
7 von 10 Punkten